Realpolitische Reaktionen auf Sicherheitsbedrohungen in und um Bosnien und Herzegowina

Circle 99 – Krug 99 – Kreses 99 Sarajevo,
Bosnia and Herzegovina
29 October 2023 – 44

Realpolitische Reaktionen auf Sicherheitsbedrohungen in und um Bosnien und Herzegowina

              Sicherheit ist in Bosnien das wichtigste politische und soziale Thema. Sicherheit steht im Mittelpunkt der Beziehungen und konkurrierenden politischen Bestrebungen innerhalb des Landes, aber auch im Zentrum der Einflussen und Interessen der bosnischen Nachbarländer. Sie darf nicht mehr als  ad hoc, sondern  sie muss aus einer strategischen Perspektive betrachtet werden, mit einer Vision konkreter Aktivitäten. Die Sicherheit darf nicht von Unruhen in der Partei oder einer übermäßigen Machtverteilung auf irgendeiner Ebene abhängen. Das ist die rote Linie und das erstklassige Interesse der Bürger, die nicht unterschritten werden darf.
            Die jüngere Generation erkennt jetzt deutlich die Bedeutung und das Gewicht des seit langem ausgesprochenen Slogans „Leben wir, als ob es hundert Jahre lang Frieden geben würde, und bereiten wir uns vor, als ob morgen ein Krieg ausbrechen würde.“ Eine solche Haltung basiert auf realpolitischen Einschätzungen politischer Entwicklungen auf der innenpolitischen Bühne, der Region, aber auch auf der globalen Bühne. Daher sind kontinuierliche Investitionen in die Infrastruktur notwendig. Außerdem ist es notwendig, einen besseren Standard unserer Bürger und eine Stärkung der Sozialpolitik anzustreben. Besonderes Augenmerk sollte auf die Ausbildung von Spezialteams, Katastrophenschutz, Polizei und anderen Sicherheits- und Nachrichtendiensten gelegt werden. Vor allem müssen wir strategische Freundschaften mit anderen Ländern stärken, die uns helfen können und mit denen wir gemeinsam Menschenleben besser retten und uns für die Begrenzung des Gesamtschadens im Falle einer Aggression einsetzen können. Dennoch lehrt uns die Geschichte, dass es nur wenige Freunde in Schwierigkeiten gibt, und die neuesten Entwicklungen auf der weltpolitischen Bühne zeigen uns, dass Freundschaften auf der Grundlage wirtschaftlicher Berechnungen und Interessen entstehen oder aufrechterhalten werden.
            Aus dieser Perspektive betrachtet hat der Kanton Tuzla in der vergangenen Zeit neben Rekordzuweisungen für Kapitalinvestitionen auch erhebliche Mittel für die Personalausstattung und die materielle und technische Ausrüstung der Polizeidirektion bereitgestellt und erhebliche zweckgebundene Mittel flossen in die Ausrüstung der Katastrophenschutzdienste. Ausrüstung und Investitionen in Personalstärkung und -ausbildung werden in möglichst geringem Umfang und ausschließlich für die Hilfeleistung und Unterstützung der Zivilbevölkerung eingesetzt. Diese Beschaffung soll die Umsetzung der anspruchsvollsten Aufgaben und Organisation sowie Antworten auf die größten Herausforderungen ermöglichen. Es ist wichtig zu betonen, dass es sich bei dieser Beschaffung zum ersten Mal um den Kauf moderner Ausrüstung aus eigenen Mitteln handelt und nicht aus Spende.
            Heute ist es auch notwendig, die Notwendigkeit hervorzuheben und den Fokus auf die Entwicklung von Widerstand gegen die Auswirkungen hybrider Kriegsführung auf unseren Staat und unsere Gesellschaft zu legen. Das Ziel einer solchen Kriegsführung besteht darin, Defätismus und den Vertrauensverlust in die Macht des politischen Willens zur Staatsbildung zu fördern. Leider sind wir Zeugen des oft gesprochenen Satzes: „Der Krieg in unserer Heimat ist nicht vorbei, nur die Mittel haben sich geändert.“ Das strategische Ziel dieser Politik in Bosnien und Herzegowina besteht darin, die staatsbildenden Kräfte dazu zu bringen, Niederlagen kampflos hinzunehmen, das Misstrauen gegenüber ihren Kräften und Zweifel an Sieg und Erfolg zu verstärken und Angst zu entwickeln, damit diese Kräfte  notwendige Abwehrmaßnahmen und systematische Aktivitäten aufgeben. Solche Maßnahmen erfordern Aufklärung, Sensibilisierung der Bevölkerung und den Kampf durch zivilgesellschaftliche Systeme. Unter den heutigen Umständen ist die Frage der Sicherheit eines der wichtigsten politischen Themen für verantwortungsvolle bosnische staatsbildende politische Kräfte. Leider sind sie heute in weitgehend uneinig, segmentiert durch persönliche und andere Interessen, und eine solche Segmentierung ist genau das wirksamste Mittel, den bosnischen politischen Block zu schwächen. Angesichts globaler und regionaler politischer Entwicklungen, aber auch der Rolle und Bedeutung des Kantons Tuzla als wirtschaftlich stärkster und bevölkerungsreichster Kanton und Region in Bosnien und Herzegowina entwickelt sich heute das Bewusstsein, dass den Sicherheitsfragen und dem Schutz viel mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden muss zur Beseitigung von Gefahren, die zu unerwünschten Folgen führen können.
            Die Jugend, in deren Namen unter anderem der Moderator sprach, spürt und ist sich weitgehend darüber im Klaren, dass die Zeit kommt, in der eine politische Einheit beim Staatsaufbau notwendig ist. Vertreter jüngerer Generationen, Mitglieder pro-bosnischer politischer Parteien, sind eingeladen, angesichts der Sicherheitsherausforderungen, vor denen unser Heimatland steht, gemeinsame Prinzipien zu präsentieren und engstirnige Parteiinteressen beiseite zu legen, gemeinsame Positionen zu definieren und direkte Maßnahmen zur Gewährleistung der Sicherheit und des Wohlstands  allen Bürger des Landes zu ergreifen. Die neuen Generationen betonen die Werte, nach denen BiH ein Land wäre, das auf jeden seiner Bürger zugeschnitten ist, unabhängig von seiner ethnischen, religiösen, politischen oder sonstigen Zugehörigkeit, und dass BiH ein Land ist, das das gemeinsame kulturelle und jedes andere Erbe der Europäischen Union bereichern würde, alle ihre Werte stärken würde und mit ihren Kapazitäten zur Stabilität des NATO-Paktes beitragen würde.             Die jungen bosnischen Frauen und Männer, egal wo sie sind, haben in Vergangenheit nie das Heimatland im Stich gelassen, gewiss wird es so auch  in Zukunft bleiben.
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Der Hauptredner der Sitzung war Irfan Halilagić, Premierminister der Regierung des Kantons Tuzla
  Adil Kulenović, President
 
Association of Independent Intellectuals – Circle 99 (Bosnian: Krug 99), a leading Bosnian think-tank, was established in Sarajevo in 1993, in the midst of the Bosnian war (1992-1995), while the capital was under siege. Circle 99 provides a platform to bring together intellectuals of various professional and ethnic identities; university professors, members of the Academy of Sciences and Arts of Bosnia and Herzegovina, artists, journalists, entrepreneurs, diplomats, and other prominent figures from Bosnia and from abroad. Multidisciplinary discussions and initiatives are held each Sunday throughout the academic year, in the form of regular sessions about politics, science, education, culture, economy, and other societal issues. The overall goal is to sensitize the public towards a democratic transformation, achieving and maintaining peace, and integration of modern Bosnia into the community of countries fostering liberal democracy. Circle 99 has been declared an organization of special significance for the city of Sarajevo.