Höhen und Tiefen der US-Politik in Bosnien und Herzegowina und auf dem Balkan in den letzten 30 Jahren

Tanya Domi
Sarajevo, February 2023-30 Krug 99 (Circle 99)
          Höhen und Tiefen der US-Politik in Bosnien und Herzegowina und auf dem Balkan in den letzten 30 Jahren
            Es ist bedauerlich, dass vieles von dem, was seit langem geschrieben wurde, die kommende Krise vorhersagte, die durch die amerikanische Umarmung veranschaulicht wurde, unterstützt durch das Büro des Hohen Repräsentanten welches die Zusammenarbeit von Dragan Čović und Milorad Dodik bei der Delegitimierung der Demokratie annahm,  indem sie die Idee der Reform aus dem Urteil im Fall Sejdić-Finci stahlen, das sie durch eine Formel ersetzten, die den schlimmsten Drang ermutigt, den bosnisch-kroatischen Nationalisten mehr Einfluss im Haus der Völker (Dom naroda) durch übermäßige Repräsentation zu geben. Der Hohe Repräsentant Christian Schmitt hat bei der Durchführung der Wahlen im Oktober 2022 nicht nur ein neues Wahlgesetz unter Verstoß gegen das Recht von Bosnien und Herzegowina erlassen, sondern auf Ersuchen der Vereinigten Staaten auch gegen die Protokolle der Venedig-Kommission verstoßen.  Die Missachtung der Rechtsstaatlichkeit durch den Hohen Repräsentanten sollte sein Mandat in Bosnien und Herzegowina als deutscher Vizeregent festigen, der mit Unterstützung der Vereinigten Staaten von Amerika die koloniale Unterdrückung im Herzen Europas verbreitet. Sein Gebrauch der Bonner Befugnisse stellt nun eine echte Bedrohung für die Souveränität von Bosnien und Herzegowina dar und untergräbt Bosniens demokratische Bestrebungen. Die Taktik der amerikanischen Regierung in Bosnien verdient den Spott den viele Bosnierinen und Bosnier auf den Straßen zum Ausdruck brachten. Die Aktionen des Hohen Repräsentanten fügten der ohnehin komplizierten politischen Ordnung, die unter der Schirmherrschaft des Friedensabkommens von Dayton geschaffen wurde, echten Schaden zu.
          Sogar Richard Holbrooke gab vor seinem Tod zu, dass das Dayton-Abkommen niemals ohne Änderungen für immer in Kraft bleiben sollte. Amerika hat jedoch offensichtlich die Lust verloren, legitime Änderungen der bosnischen Verfassung voranzutreiben, die es selbst geschrieben hat und die als Rechtsstruktur des Landes in Kraft bleibt-laut dieser Vefassung ist den Juden, Roma und anderen Personen die sich weigern ihre ethnische Zugehörigkeit anzugeben, Kandidatur zur Wahl verboten. Die Entscheidungen des EU-Gerichtshofs für Menschenrechte zum Wahlungleichgewicht und zur diskriminierenden Verfassung hätten als erstes Anlass zu Überlegungen über die Nutzung der Bonner Befugnisse geben müssen. Wenn überhaupt, hätten diese Gerichtsentscheidungen teilweise oder vollständig durchgesetzt werden müssen, als der Hohe Vertreter beschloss, „Reformmaßnahmen“ zur Verbesserung des Wahlsystems zu verhängen. Diese Beschlüsse wurden vom Hohen Repräsentanten und den Vereinigten Staaten von Amerika bei Seite gelassen, obwohl die Verfassung von Bosnien und Herzegowina, wie sie in Dayton ausgearbeitet wurde, eindeutig feststellt, dass „die Rechte und Freiheiten, die durch die Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte verankert sind und Grundfreiheiten und ihre Protokolle sind in Bosnien und Herzegowina unmittelbar anwendbar. Sie haben Vorrang vor allen anderen Gesetzen“.
          Amerikanische Truppen sind seit langem aus Bosnien und Herzegowina abgezogen, aber nationalistische Schläger zu tolerieren, insbesondere diejenigen, die die Interessen Russlands vertreten, ist kein strategischer Ansatz, um das leidende Bosnien oder andere Teile des Balkans zu unterstützen. Die USA suchen konsequent nach politischen Lösungen, die den Grundwerten Demokratie, Gleichheit und Achtung der Rechtsstaatlichkeit widersprechen. Amerika scheint die Idee eines zivilen, bürgerlichen, demokratischen Bosnien und anderer Teile des Balkans aufgegeben zu haben. Dies wird durch die Tatsache unterstützt, dass das Außenministerium derzeit hart daran arbeitet, keinem Geringeren als dem serbischen Präsidenten Aleksandar Vučić unter die Arme zu greifen. Und der Westen bekommt für diese Bemühungen nicht viel zurück.
          Wir rufen die Menschen auf, weiterhin auf den Straßen für das zu protestieren, für das was richtig ist – für einen existenzsichernden Lohn und das Recht, sich für ein Amt zu bewerben. Wir fordern die bosnischen Bürger auf, mit der bosnischen Diaspora in den Vereinigten Staaten zusammenzuarbeiten, um sich mit ihren Kongressabgeordneten und Senatoren zu treffen. Um Einfluss auf die amerikanische Außenpolitik zu nehmen, müssen diese Gespräche mit interessierten Mitgliedern des Kongresses geführt werden. Dies ist der richtige Weg, um gleichzeitig Druck auf die Biden-Administration auszuüben, diesen realpolitischen Ansatz gegenüber Belgrad als Gravitationszentrum des Balkans zu stoppen. Die USA, Großbritannien und die EU sollen die von Vučić geschaffene „serbische Welt“ brechen. Wir müssen aufhören, das offensichtlich verrückte Spiel zu spielen. Belgrad ist das Zentrum der Instabilität für die Region, und Diplomaten, die weiterhin versuchen, Serbien von Russland zu trennen, sollten die Sinnlosigkeit dieses Ziels einsehen. Es sollen Zivilvereinigungen unterstützt und Nichtregierungsorganisationen finanziert werden, die sich auf dem gesamten Balkan für die Demokratie einsetzen. Ideen, Hoffnung und Aktivismus sind hier noch lebendig. Und die USA, das Vereinigte Königreich und die EU müssen mit der Zivilgesellschaft zusammenarbeiten, um Demokratie und Menschenrechte zu unterstützen. Da Russlands Aggression gegen die Ukraine in ihr zweites Jahr geht, ist es jetzt wichtiger denn je, Demokratie, Menschenrechte und Gleichheit zu fördern. Alle weiteren Bemühungen von Diplomaten, mit denen Geschäfte zu machen, die gegen diese Grundprinzipien arbeiten, sind nicht der Weg zur Heilung des Balkans.
          In den letzten 30 Jahren war das Hauptmerkmal der US-Außenpolitik gegenüber dem Balkan und Bosnien und Herzegowina durch aufeinanderfolgende Schwankungen und unerwartete Höhen und Tiefen gekennzeichnet. Höhen, immer wenn diese Politik ihren eigenen demokratischen und zivilisatorischen Werten folgte, als korrektes Maß für die Beziehungen zu anderen Nationen – Staaten. Und Tiefen, wenn Realpolitik, pragmatische Interessen und unbekannte Ziele als Maßstab dieser Verhältnisse vorherrschten. Manchmal kam es uns so vor, als hänge das Auf und Ab eher von Einschaltquoten aus Wahlkämpfen alle zwei Jahre ab als von einer schlagkräftigen und ausgeklügelten politischen Strategie, die auf demokratischen Maßstäben basierte.
          Vor dreißig Jahren schien das euro-atlantische Zuckerbrot für die Menschen in Bosnien unwiderstehlich, die einen demokratischen Übergang erwarteten, von dem angenommen wurde, dass er in den Vereinigten Staaten verwurzelt sei. Dennoch erinnert uns  unsere bosnische Erfahrung daran, dass die enorme demokratische Kapazität der USA und die immer möglichen Alternativen niemals aus den Augen verloren werden sollten.
*** Hauptrednerin der Session: Tanya L. Domi, außerordentliche Professorin, Columbia University und Harriman Institute, USA, 19. 02.23
Adil Kulenović, President
  
Association of Independent Intellectuals – Circle 99 (Bosnian: Krug 99), a leading Bosnian think-tank, was established in Sarajevo in 1993, in the midst of the Bosnian war (1992-1995), while the capital was under siege. Circle 99 provides a platform to bring together intellectuals of various professional and ethnic identities; university professors, members of the Academy of Sciences and Arts of Bosnia and Herzegovina, artists, journalists, entrepreneurs, diplomats, and other prominent figures from Bosnia and from abroad. Multidisciplinary discussions and initiatives are held each Sunday throughout the academic year, in the form of regular sessions about politics, science, education, culture, economy, and other societal issues. The overall goal is to sensitize the public towards a democratic transformation, achieving and maintaining peace, and integration of modern Bosnia into the community of countries fostering liberal democracy. Circle 99 has been declared an organization of special significance for the city of Sarajevo.
https://youtu.be/HyuevIdZX34

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